Tempo 30 an der Staatsstraße 2054
In Kirchdorf prallen Alltag und Verkehr aufeinander. Direkt neben dem Rathaus liegt die Grundschule, nur wenige Meter entfernt zieht sich die Staatsstraße quer durch den Ort. Hier rauschen täglich unzählige Autos und Lkw vorbei – trotz neuer Ampelanlage bleibt das Risiko für Kinder und Anwohner spürbar.
Bürgermeister Uwe Gerlsbeck ist überzeugt: Diese Straße braucht ein Tempolimit von 30 km/h. Nicht überall, aber auf Abschnitten. Nicht irgendwann, sondern jetzt.
Sein Ziel: die Sicherheit der schwächsten Verkehrsteilnehmer in den Mittelpunkt stellen und die neue Rechtslage konsequent nutzen.
Und dabei hat er die volle Unterstützung der Nachbarbürgermeister. Auch in Allershausen, Palzing und Haag gibt es Straßensituationen, die Sorgen machen, an Bushaltestellen, Ortseinfahren, Übergängen, frequentierten Abschnitten, schmalen Bürgersteigen.
Warum Tempo 30 so wichtig ist
Die Situation ist brisant: Während viele Kinder morgens und mittags ihren Schulwegen nutzen, verläuft oft nur wenige Meter entfernt der dichte Durchgangsverkehr. Bremswege sind kurz, Sichtverhältnisse oft unübersichtlich.
Statistisch betrachtet macht die Geschwindigkeit den entscheidenden Unterschied:
- Bei 50 km/h endet ein Unfall in 8 von 10 Fällen tödlich.
- Bei 30 km/h sinkt die Wahrscheinlichkeit auf nur 10 Prozent.
Für Gerlsbeck und seine Kollegen Vaas, Geier und Priller ein klares Argument: "Es geht um Menschenleben, nicht um Sekunden."
Trotz mehrfacher Anläufe konnten die Gemeinden bislang kein dauerhaftes Tempolimit einführen. Der Grund: Der Ausgang der Schule führt nicht direkt auf die Staatsstraße, sondern auf eine Nebenstraße. Behörden argumentierten deshalb, dass keine „unmittelbare Gefahrenlage“ vorliege.
Für die Bürgermeister ein unhaltbarer Zustand. Während in anderen Bundesländern die Kommunen häufig durchgehend Tempo 30 an Hauptachsen umsetzen, soll es auf einer Dorfstraße in Bayern nicht möglich sein. „Da fragt man sich schon, wie ernst die Sicherheit kleiner Gemeinden genommen wird“, kommentiert Gerlsbeck.
Neue Chancen durch Gesetzesänderung
Zwei Jahre lang arbeitete die Innovationsberatung team red Deutschland am EU-geförderten LEADER-Projekt in der MIA-Region („Interkommunales Mobilitätsmanagement für die Mittlere Isarregion und das Ampertal“). Eines der Hauptziele: neue Wege für eine nachhaltige Verkehrsgestaltung.
Pünktlich zum Projektabschluss trat eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung in Kraft. Sie gibt Kommunen mehr Spielraum, selbst über Maßnahmen wie Tempo 30 zu entscheiden – insbesondere dort, wo
- viele Fußgänger unterwegs sind,
- Schulwege stark frequentiert sind,
- eine erhöhte Gefahrenlage vorliegt.
Für Kirchdorf und die Nachbardörfer könnte das die Wende sein.
Juristische Sicht: Chancen, aber auch Hürden
Jurist Hubertus Baumeister sieht in Kirchdorf durchaus gute Argumente für Tempo 30. Schon wenn zehn Kinder regelmäßig denselben Schulweg nutzen, gilt dieser als stark frequentiert. Damit wäre bereits die Grundlage für ein Tempolimit erfüllt.
Auch die städtebauliche Dimension spielt eine Rolle: Die stark befahrene Durchgangsstraße zerschneidet das Dorf, Begegnungsräume entstehen kaum. Tempo 30 würde hier nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch die Lebensqualität verbessern.
Trotzdem warnt der Experte: Der Weg könnte über die Gerichte führen, weil höhere Behörden eine Umsetzung anfechten könnten.
Zahlen, Fakten und Argumente für Tempo 30
Gerlsbeck als Vorsitzender der ILE Kulturraum Ampertal präsentiert seine Forderungen nicht nur emotional, sondern auch faktenbasiert:
- Zeitverlust minimal: Tempo 30 bedeutet im Schnitt gerade einmal 48 Sekunden mehr pro Kilometer.
- Mehr Lebensqualität: Weniger Lärm, bessere Luft und mehr Sicherheit.
- Anwohner profitieren: Mit Tempo 30 entstehen Räume, in denen Menschen sich sicher bewegen können.
Lärm, Sicherheit und Ortsentwicklung
Der Verkehr betrifft nicht nur die Schulwege. Auch der Lärmpegel im Ort ist erheblich. Dauerhafte Belastung durch Motorengeräusche und Bremsvorgänge beeinträchtigt die Lebensqualität vieler Familien.
Besonders deutlich ist dies in Allershausen mit der Autobahn- Ausfahrt und er stark frequentierten Hauptstraße zu spüren.
Tempo 30 könnte hier doppelt helfen:
- Reduzierte Geschwindigkeit senkt den Geräuschpegel spürbar.
- Ein ruhigerer Verkehrsfluss macht den Ort insgesamt attraktiver.
Darüber hinaus blockiert die Durchgangsstraße die Entwicklung aller Kommunen. Wo Autos im Minutentakt vorbeibrausen, entstehen weder neue Treffpunkte noch einladende Aufenthaltsflächen. Mit einer Verkehrsberuhigung könnten die Orte lebenswerter und zukunftsfähiger werden.
Ein Blick nach vorne
Ob das Projekt gelingt, ist noch offen. Klar ist jedoch: Die Bürgermeister an der Amper wollen nicht länger warten, bis übergeordnete Behörden handeln. Die Bürgermeister setzen auf die Kraft der öffentlichen Diskussion, auf rechtliche Möglichkeiten – und auf den Rückhalt der Bürger.
Tempo 30 wäre ein Signal weit über die Gemeindegrenzen hinaus: Sicherheit vor Schnelligkeit. Mensch vor Maschine. Dorfleben vor Durchgangsstraße.